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Reinhard Astleithner

Interview mit dem Niederösterreichischen Drehbuchautor Reinhard Koller-Astleithner von Raquel Ruiz Berset für https://www.portal7.ch

reinhard astleithner

Copyright © 2023, Raquel Ruiz, Portal7

Portal7: Alfred Hitchcock sagte einmal: «Um einen grossartigen Film zu drehen brauchst du drei Dinge: das Drehbuch, das Drehbuch und das Drehbuch.» Sind Sie einverstanden?

R. Koller-Astleithner: Das gibt es auch mit „Location, Location, Location.“ Und „Casting, Casting, Casting.“ Aber nachdem ich Drehbuch studiert habe, muss ich mit einem enthusiastischen JA antworten. Es gibt viele Sprüche in diese Richtung. Zum Beispiel: „Mit einem guten Drehbuch kann zwar ein schlechter Film entstehen, aber aus einem schlechten Drehbuch kann nie ein guter Film gemacht werden.“

Portal7:  Viele Filmliebhaber fragen sich, wie ein Drehbuch entsteht. Gibt es konkrete Schritte dafür?

R. Koller-Astleithner: Da hat jede Autorin/jeder Autor einen anderen Weg. Bei jedem Seminar wird der eine Trick verkauft, in jedem Drehbuch-„Selbsthilfebuch“ wird das eine Geheimnis angepriesen. Es gibt Grundregeln: Die 5-Akt Struktur. Die Held:innenreise. Konflikt erzeugt Spannung. Charaktere müssen sich verändern. Spannungsbögen,…

Meine Ansicht ist aber, dass sich jede Geschichte ihre eigene Dramaturgie verdient hat. Und damit bricht man dann schnell die eine oder andere Regel. In Hollywood verkaufen sie seit Ende der 70er Jahre die gleiche Story. Held:in ist für größeres geboren; wird vom Alltag zurückgehalten, bis der Mentor kommt. Gandalf, Dumbledore, Obi-Wan,… und so weiter und so weiter.  Folgt man diesem Rezept, produziert man zwar schnell etwas Funktionierendes, aber da fehlt dann auch das Herz; die Seele. Ich hab’ da einen romantischeren Zugang. Eine Geschichte, oder Charaktere zwingen sich auf und wollen,… müssen zu Papier gebracht werden. Ray Bradbury war ein Verfechter von „Write with gusto!“. Er hat gemeint, dass „if you are writing without zest, without gusto, without love, without fun, you are only half a writer“. Das entspricht auch meinem Zugang.

Dementsprechend drängen sich Storys auf. Da gibt es dann die Frage nach „wie“ gar nicht mehr. Da kann man dann gar nicht anders als schreiben. Und dann hoffe ich, dass ich die wichtigsten Punkte der Geschichte schnell im Kopf habe. Zur Zeit schreibe ich zum Beispiel an einem Drehbuch, bei dem ich nicht weiß wie es enden wird. Und das macht Stress. Einer meiner Professoren hat gesagt, dass man ohne Ende gar nicht anfangen soll zu schreiben. Ich gehe mit dem Protagonisten aber gemeinsam auf die Reise und bin offen für alles was ihm passiert. Da kann auch schnell ein geplanter Plot-Point ignoriert werden.

Also um die Frage zu beantworten: Nein. Es gibt keine konkreten Schritte, aber je weniger man sich an Rezepte hält, desto mehr Angst kommt in den Autor:innen auf und das versuchen viele von ihnen zu verhindern. Weil Schreiben zu den einsamsten und Angst einflößendsten Jobs gehört, die es gibt.

Portal7: Was haben Journalisten, Schriftsteller und Drehbuchautoren gemeinsam und was unterscheidet sie hauptsächlich?

R. Koller-Astleithner: Journalist:innen sollten den Fakten folgen. Oder zumindest, wenn man so wie Hunter S. Thompson gearbeitet hat, die Wahrheit hinter den Fakten als Ziel haben. Schriftsteller:innen und Drehbuchautor:innen haben einen ähnlichen Weg, das Endprodukt ist aber ein anderes. Das Drehbuch ist nicht das Werk. Es ist ein Fahrplan, für einen Film, oder einen Dokumentarfilm. Der Roman, oder die Kurzgeschichte,… ist aber sehr wohl das Produkt.

Dementsprechend denkt man beim Drehbuchschreiben immer an das, was von der Leinwand reflektiert werden soll. Was man hören soll. Da bringen Sätze wie: „Johann dachte an seinen verstorbenen Hund und merkte, dass sich sein Magen verknotete.“ nichts. Im Drehbuch braucht man Bilder und Töne. Aktionen und Pausen. Keine inneren Befindlichkeiten und Gedanken. Man muss bildlich beschreiben und im Bestfall alles durch die Augen und die Emotion einer Person filtern. Ein gutes Beispiel dafür wäre ein Autounfall in einem Film. Eine Überlebende läuft zum blutenden Partner. Diese Szene sollte man durch die Überlebende erzählen.

Der hohe Puls in den Ohren. Entfernt das Rauschen des Verkehrs. Dumpf, weit im Hintergrund, die Schreie anderer Überlebender. Und je näher sie kommt, desto lauter die letzten Atemzüge des Partners. Viel lauter als der gerade landende Helikopter im Hintergrund. Das wäre nichts für Journalist:innen.

Portal7: Wie lange dauert der Prozess?

R. Koller-Astleithner: Ich habe ein Drehbuch in zweieinhalb Tagen geschrieben, nachdem ich 6 Monate damit in meinem Kopf gekämpft habe. Das Schreiben war dann nur noch eine ausführende Tätigkeit. Ein Protokollieren der Dialoge, die die Charaktere miteinander hatten.

Ein anderes Mal habe ich eineinhalb Jahre an einem Drehbuch gearbeitet und es ein dutzend Mal überarbeitet. Jede Geschichte sucht sich bei mir einen eigenen Weg. Das schnelle Drehbuch ist übrigens viel besser geworden.

Portal7:  Handelt es sich meistens um eine individuelle oder eher eine kollektive Arbeit?

R. Koller-Astleithner: Ich habe viele Drehbücher mit Partnern geschrieben. Allen voran mit Georg Rauber, bekannt als „Möttl“ in „Walking on Sunshine“. Wir haben einen ähnlichen Humor, uns taugt Improvisation und wir ergänzen uns gut. Die Grundregel der Improvisation, dass es kein „Nein“ gibt, sondern ein „Ja, und dann…“ lässt viele Ideen zu und dreht nicht gleich dumme Ideen ab. Damit ergibt ein Schritt gleich mal einen nächsten und man baut leichter eine komplexe Welt, als bekannte Abziehbilder von archetypischen Figuren. Auch widersprüchliche Aspekte kommen dadurch hinzu und machen Charaktere und Aktionen lebensechter. In der ersten Version halten wir uns nicht zurück und werfen alles auf’s Papier. Beim Überarbeiten suchen wir dann die Authentizität.

In den letzten paar Jahren habe ich aber alleine gearbeitet. Da ist die Überwindung sich hinzusetzen riesig. Die erste Hürde, die ersten Sätze sind fast nicht zu bewältigen, ohne einen fixen Termin mit einem Schreibpartner. Läuft es aber dann, muss ich schauen, dass ich nicht vergesse zu trinken und zu essen.

Portal7: Und jetzt DIE Preisfrage: Wird die KI die Arbeit der Drehbuchautoren bereichern, erleichtern oder überflüssig machen? Wird sie nur als Hilfsmittel benützt?

R. Koller-Astleithner: Ich finde den Ausdruck KI ja falsch. Wäre es eine echte Künstliche Intelligenz, wären wir plötzlich Schöpfer:innen und alles wäre anders. Das was uns als KI verkauft wird sind Suchmaschinen.

Spezialist:innen zufolge wird sich unsere Welt und unser Alltag in den nächsten 5 Jahren auf Grund dieser „KIs“ so drastisch ändern, wie nie zuvor. Die meisten Produzent:innen in Hollywood freuen sich wahrscheinlich sehr darauf ihre 08/15 Drehbücher endlich selbst generieren zu können. „Siri! Schreib mir Teil 24 von Rocky. Wir brauchen aber nach 25 Minuten eine Schießerei und nach 50 Minuten eine Verfolgungsjagd. Die Sexszene vor wehenden Vorhängen darf nicht fehlen,… und damit wir die Gutmenschen ins Kino bekommen, müssen 50% der Figuren divers sein. Aber trotzdem sympathisch.“

Da man in Amerika ohnehin Altbewährtes wiederkäut, kommt ihnen die KI Hilfestellung zurecht. In Europa wird man KI sicher zu Rate ziehen, man weiß aber, dass Film eine Kunstform ist, die unser Dasein beleuchtet. Dementsprechend werden persönliche Geschichten, die repräsentativ formuliert werden nie aussterben. Aber so wie die „Autokorrektur“, wird es die Arbeit auch vereinfachen. Man muss sich und seinen Ansprüchen aber treu bleiben und mit Würde und Ethik  vorgehen. Beenden wir das Interview am besten mit dem Arbeitsauftrag von Schiller an die Künstler:innen:

„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, Bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!“

Portal7: Besten Dank und weiterhin viel Erfolg!

Reinhard Koller-Astleithner: Danke für’s Gespräch.

 Kontakt
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Ausbildung/Tätigkeit

1976 Geboren in Wiener Neustadt.
2004 Studium an der „Filmakademie“. Buch und Dramaturgie an der Universität für Musik und darstellende Kunst.
2008 Buch, Produktion, Regie beim Spielfilm „Bildwerfer – Die 11 Stufen des Helden“.
Seit 2009 Mitglied der Filmbewertungskommission (Prädikatisierung) für die Länder Niederösterreich und Burgenland.
2011 bis 2018 Veranstalter des „FRONTALE  - Internationales Filmfestivals“ in Wiener Neustadt.

Buchveröffentlichungen

Freiheit, ISBN 3-902282-07-X
tat.wort, ISBN 978-3-902282-51-4¨